Pränataldiagnostik


Die Pränataldiagnostik bezeichnet Untersuchungen zur Erkennung von Veränderungen im Erbgut oder Fehlbildungen beim Kind. Diese gehen über die reguläre Schwangerenvorsorge hinaus.

Die Untersuchungen zur Pränataldiagnostik umfassen sowohl nicht-invasive Methoden (z.B. spezielle Ultraschalluntersuchungen, die Bestimmung von Blutwerten bei der Mutter) als auch invasive Verfahren (Fruchtwasserpunktion, Chorionzottenentnahme usw.).

Wann macht Pränataldiagnostik Sinn?

Die Mehrzahl der schwangeren Frauen wünscht sich Informationen zu den vorgeburtlichen Untersuchungsmethoden. Es geht darum, Veränderungen im Erbgut oder Fehlbildungen beim Kind früh zu erkennen und möglichst zuverlässige Aussagen zum Zustand des Kindes zu erhalten.

Die Pränataldiagnostik ist aber nur dann sinnvoll, wenn man eine Konsequenz daraus zieht. Bei einer diagnostizierten schwerwiegenden Veränderung ist die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch bis zur maximal 24. Schwangerschaftswoche gegeben, falls die Schwangere dies wünscht.

Falls man einen Schwangerschaftsabbruch nicht in Erwägung zieht, ist auch die Pränataldiagnostik nicht notwendig.

Vor der Durchführung einer vorgeburtlichen Diagnostik sollten Sie sich entscheiden, ob Sie Konsequenzen (Beendigung der Schwangerschaft) aus einem auffälligen Befund ziehen oder nicht!

Spermien befruchten ein Ei
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Vor der Pränataldiagnostik: Die Kenntnis des Basisrisikos

Die Kenntnis des Basisrisikos ist wichtig, um sich für oder gegen eine Untersuchung zu entscheiden. Die Mehrzahl aller Kinder wird gesund geboren. Für jede Schwangere besteht ein Risiko von 3–5 %, ein Kind mit einer angeborenen körperlichen und / oder geistigen Auffälligkeit zu gebären. Auf 1000 lebend geborene Kinder ist insgesamt mit 50 angeborenen Behinderungen zu rechnen (5 von 100).

In den meisten Fällen ist die Ursache nicht festzustellen; d. h. jede Frau in jedem Alter ist gleich wahrscheinlich betroffen. Diese 50 Behinderungen lassen sich in drei Gruppen aufgliedern:

  • Gruppe 1: Bei 41 Kindern liegt z. B. ein Herzfehler oder eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder eine Verschlussstörung der Wirbelsäule (Spina bifida, „offener Rücken“) vor.
  • Gruppe 2: Bei vier Kindern liegt eine „Erbkrankheit“ vor, wie z. B. Mucoviszidose.
  • Gruppe 3: Bei fünf dieser Neugeborenen finden sich Veränderungen im Erbgut. Häufigstes Beispiel ist die sog. Trisomie 21 (= Down-Syndrom, „Mongolismus“).

Gruppe 1 – neu auftretende Fehlbildungen

Jede Frau hat prinzipiell in jedem Alter das gleiche Risiko. In den meisten Fällen dieser Erkrankungen sind die Ursachen im Einzelnen noch nicht geklärt. Die Mehrzahl dieser Erkrankungen kann durch Ultraschalluntersuchungen festgestellt werden.

Aber 100 % Sicherheit gibt es nicht: Nicht alle diese Erkrankungen sind im Ultraschall erkennbar, und nicht jede Fehlbildung ist zu jeder Zeit sonografisch nachweisbar. „Gute Geräte“ und der „erfahrene Untersucher“ sind wie der Zusatz „spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin“ und das Zertifikat DEGUM II oder III Hinweise auf Qualifikation.

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Gruppe 2 – Erbkrankheiten

Sie kommen meist gehäuft in einer Familie vor. Erbkrankheiten beruhen auf Veränderungen einzelner Gene. Beispiele sind Mukoviszidose oder „Bluterkrankheit“ oder „angeborene Muskelschwäche“. Diese Krankheiten haben ihre Ursache „in den Genen“.

Um sie zu erkennen, reicht das Mikroskop nicht aus; man braucht sog. molekulargenetische Untersuchungsmethoden. Einen vorgeburtlichen „Suchtest“ auf die bekannten Erbkrankheiten gibt es nicht. Eine Untersuchung kann nur gezielt erfolgen, wenn eine bestimmte Erbkrankheit in der Familie bereits vorgekommen ist.

Gruppe 3 – Chromosomenstörungen

Chromosomenstörungen sind Veränderungen der Zahl oder des Aufbaus unserer Erbträger. Das Risiko steigt mit zunehmendem Alter vorwiegend der Mutter. Das väterliche Alter beeinflusst das Risiko für kindliche Chromosomenstörungen nicht wesentlich. Erst ab 50 Jahren erhöht sich das Risiko geringfügig.

Ein gesunder Mensch trägt in jeder Zelle seines Körpers 46 Chromosomen. Hierbei handelt es sich um 22 gleiche Paare (Chromosom 1–22) und ein Geschlechts-Chromosomenpaar (zwei X-Chromosomen bei Frauen, ein X- und ein Y-Chromosom bei Männern). Bei der Entstehung von Ei- und Samenzellemuss muss die Anzahl der Chromosomen auf 23 halbiert werden.

Hierbei können zufällige Verteilungsfehler vorkommen: Wenn z. B. das Chromosom 21 zweimal statt einmal in die Ei- oder Samenzelle gelangt, entsteht bei der Befruchtung die Trisomie 21 (Down-Syndrom). Durch die vorgeburtliche Diagnostik können solche Störungen der Chromosomenzahl erkannt werden.

Methoden der Pränataldiagnostik: Nutzen und Risiken

Zur Pränataldiagnostik zählen invasive Methoden wie die Fruchtwasserpunktion und die Chorionzottenentnahme und nicht-invasive Methoden wie spezielle Ultraschalluntersuchungen und die Bestimmung von Blutwerten bei der Mutter. Der Unterschied liegt in der Zuverlässigkeit und der Komplikationsrate.

Die Empfehlungen zur Anwendung der Pränataldiagnostik werden in den Mutterschaftsrichtlinien gegeben: „Ab einem mütterlichen Alter von 35 Jahren wird den Schwangeren empfohlen, invasive Untersuchungsverfahren wie eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) oder Chorionzottenbiopsie zur Erkennung von Chromosomenstörungen in Erwägung zu ziehen. Der Arzt sollte diese Frauen über die Möglichkeit der Untersuchung aufklären.“

Eine Schwangere ab 35 Jahren oder älter erhält als Kassenleistung das Angebot der Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese): Sie kann..

  • eine Fruchtwasserpunktion oder ein artverwandtes Verfahren durchführen lassen.
  • gänzlich darauf verzichten.
  • eine alternative Untersuchungen wählen (keine Kassenleistung).

Die Schwangere unter 35 Jahren erhält nicht generell die Möglichkeit der Pränataldiagnostik als Kassenleistung: Sie kann..

  • sich auf die „normale“ Schwangerenvorsorge beschränken.
  • eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen lassen als Eigenleistung.
  • eine alternative Untersuchungen wählen (keine Kassenleistung), die sie ebenfalls selbst zahlen muss.

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Ist diese Altersbegrenzung eigentlich bewiesen sinnvoll?

Nein, die Empfehlung „Fruchtwasseruntersuchung ab 35“ stammt aus den 70er-Jahren. Es existieren aktuelle Berechnungen, dass das Angebot der Untersuchung in jedem Alter der Schwangeren auch unter dem Kostenaspekt sinnvoll ist.

Der Eingriff der Fruchtwasserentnahme ist mit einem ca. 1,0%igen Fehlgeburtsrisiko verbunden. Rein rechnerisch tritt bei 100 Eingriffen eine Fehlgeburt ein. Infektionen oder kindliche Verletzungen aufgrund des Eingriffs sind nur selten und werden bei ca. 1 von 1000 bis 2000 Fällen beobachtet.

Aufgrund von Zellwachstumsproblemen oder unklaren Chromosomenbefunden kann bei ca. 0,5 % der Untersuchungen eine Wiederholung oder eine zusätzliche Untersuchung bei den Eltern erforderlich werden.

Nach neueren Untersuchungen scheint es so, dass die Risikoeinschätzung auf 1 % (der Fehlgeburt nach Fruchtwasserpunktion) hoch gegriffen ist. In der großen Studie FASTER (First And Second Trimester Evaluation of Risk for Aneuploidy trial = Ersttrimesterscreening) führten bis zur 24.Woche 1,0% der Schwangerschaften nach Amniocentese zur Fehlgeburt, gegenüber 0,94% der Vergleichsschwangerschaften ohne Fruchtwasserpunktion. Dies bedeutet, das Risiko des Eingriffs Fruchtwasserpunktion errechnet sich mit 0,06 % (1,0 % minus 0,94 %).

Das Ersttrimester-Screening als Angebot innerhalb der Pränataldiagnostik

Die Risikoabschätzung für die Geburt eines chromosomenkranken Kindes (hauptsächlich Trisomie-21) ergibt sich aus einer Ultraschalluntersuchung und einer mütterlichen Blutprobe. Diese Untersuchungen können im ersten und im zweiten Schwangerschaftsdrittel erfolgen. Sie werden auch Ersttrimester-Screening und Zweittrimester-Screening genannt.

Das Ersttrimester-Screening (12. bis zum Ende der 14. Schwangerschaftswoche) ist die Kombination von Ultraschall (Messung der kindlichen Nackenfalte) und Blutuntersuchung (PAPP-A, freies ß-HCG). Man versucht mit der Methode, mehr Kinder mit Chromosomenstörungen (vorwiegend Trisomie 21 = Down Syndrom) zu erkennen, als dies mit der üblichen Mutterschaftsvorsorge (Ultraschall in der 10. Woche, der 20.Woche, der 30.Woche) möglich ist.

Gerade jüngeren Schwangeren und auch Patientinnen, die das eingriffsbedingte Risiko der invasiven Verfahren vermeiden möchten, soll die Entscheidung für oder gegen eine Fruchtwasseruntersuchung / Chorionbiopsie erleichtert werden. Es gibt Hinweise, dass dies gelingt, aber keine absolut zuverlässigen Beweise! Der Patient muss wissen, es spricht einiges dafür, absolut sicher ist die Aussage aber nicht.

Die große Übersichtsarbeit der englischen Gesundheitsbehörde NICE sagt seit 2003, dass die Maßnahme nützlich ist (Evidenzklasse II). NICE folgert, wie auch die amerikanischen Leitlinien, dass man allen Schwangeren, unabhängig vom Alter, die Blut- und Ultraschalluntersuchung auf ein Down-Syndrom („mongoloides Kind“) anbieten soll. (Anmerkung: Diese Empfehlung ist weniger abgesichert als der sogenannte Goldstandard in der Medizin, aber es gibt eben zurzeit keine besseren Studien. Eine spätere hochqualitative Studie kann die Aussagen verändern oder bestätigen.)

Man sollte die Probleme kennen. Das Problem sind die falsch positiven Ergebnisse, d.h. Befunde, bei denen der Arzt „etwas Auffälliges“ nicht ausschließen kann. Dann kommt die Frage, ob die Schwangere noch eine Fruchtwasseruntersuchung (oder ähnliches) nachschalten möchte, um Gewissheit zu erlangen. Selten kommt es dann zur Fehlgeburt – dies ist besonders tragisch, wenn sich der Verdacht nicht bestätigt und ein unauffälliger Chromosomenbefund vorliegt.

Beispiel Dänemark

Die häufige Anwendung der Untersuchung (Ultraschall und Blutuntersuchung) seit 2004 hat in Dänemark dazu geführt, dass die Zahl der geborenen Kinder mit Down-Syndrom (Mongolismus) auf die Hälfte zurückging: von ca. 60 pro Jahr zwischen 2000 und 2004 auf 31 im Jahre 2005.

Die Zahl der Fruchtwasserpunktionen ist deutlich gesunken (von 7500 pro Jahr auf 3500). 2005 wurden 86 % der Kinder mit Down-Syndrom durch die Ultraschall- und Blutuntersuchung richtig erkannt, 2006 waren es 93 %. 4% waren falsch positive Befunde, d.h. es sah so aus, als läge ein Down-Syndrom vor, bei der Fruchtwasserpunktion fand sich dann aber keines.

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Zusammenfassung: Pränataldiagnostik

Fazit: Jede Schwangere muss entscheiden, welche Zusatzuntersuchungen für sie in Frage kommen.

Die Spezialultraschall- und die Blutuntersuchungen werden nicht von den Krankenkassen übernommen und unterliegen der Eigenfinanzierung.

Der sicherste Ausschluss von Chromosomenstörungen ist nach wie vor durch eine Fruchtwasserpunktion (Goldstandard) oder Chorionzottenbiopsie möglich. Eine Sicherheit von nahezu 100 % gibt es aber bei keinem diagnostischen Verfahren.

Verwendete Quellen:

  • Eddleman KA et al, for the First and Second Trimester Evaluation of Risk (FASTER) Trial Research Consortium Pregnancy Loss Rates After Midtrimester Amniocentesis. Obstet. Gynecol., Nov 2006; 108:1067-1072
  • Alldred SK, Alfirevic Z, Deeks JJ, Neilson JP. Antenatal screening for Down’s syndrome (Protocol). Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 4. Art. No.: CD007384. DOI:
    10.1002/14651858.CD007384
  • Mujezinovic F, Alfirevic Z. Procedure-related complications of amniocentesis and chorionic villous sampling: a systematic review. Obstet Gynecol. 2007 Sep;110(3):687-94. Review.
  • NICE clinical guideline 62. Antenatal care: routine care for the healthy pregnant woman. National Institute for Health and Clinical Excellence, March 2008
  • ACOG Practice Bulletin No. 77: Screening for Fetal Chromosomal Abnormalities. Obstet Gynecol. 2007; 109: 217-228
  • Ekelund CK et al. Impact of a new national screening policy for Down’s syndrome in Denmark: population based cohort study. BMJ 2008;337:a2547

Autoren:
Prof. Dr. med. Karl Sterzik
Dr. med. Erwin Strehler
Prof. Dr. med. Rainer Wiedemann
Dr. med. Petra-Ilona Wiedemann